Bei Anne Will soll das mittlerweile erkaltete Thema „Reichsbürgerrazzia“ neu aufgewärmt werden. Während in den sozialen Netzwerken schon lange darüber diskutiert wird, ob der Einsatz von 3000 Beamten für 25 vorwiegend Rentner wirklich notwendig gewesen ist, versuchen die anwesenden Gäste, Gesicht zu wahren und das Ausmaß der Aktion zu verteidigen. Allen voran Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gelingt das kaum. Wie aus einer der größten Razzien der Geschichte ein Rohrkrepierer wird.
3000 Polizisten im Einsatz, 25 Festnahmen und ganz viele gut informierte Reporterteams, die live filmen, wie die Beschuldigten aus ihren Häusern geführt werden: Die groß aufgezogene „Reichsbürgerrazzia“ hat in der vergangenen Woche für viel (gewolltes) Aufsehen gesorgt. Neben den Live-Bildern von Verhaftungen kümmerten sich verschiedene Sondersendungen, sogar ein zur Primetime angesetzter „ARD-Brennpunkt“, um die Durchsuchungen bei den mutmaßlichen Verschwörungstheoretikern. Insbesondere Bundesinnenministerin Nancy Faeser nutzte das Scheinwerferlicht für Eigenwerbung und sparte nicht mit maßloser Rhetorik. So erklärte die 52-Jährige, es handle sich bei den Beschuldigten um den „Abgrund terroristischer Bedrohung“.
Luft ist raus – ARD legt deshalb nach
Nach wenigen Tagen scheint die Luft aus der groß angelegten Aktion jedoch entwichen zu sein. In den sozialen Medien wird schon lange nicht mehr über die beschuldigten Personen, sondern die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes und die im Angesicht weniger Funde übertriebene Rhetorik diskutiert. Auch bei Anne Will am Sonntag wurde dick aufgetragen und zum Thema „Razzia bei ‚Reichsbürgern‘ – Wie groß ist die Terrorgefahr durch Staatsfeinde?“ diskutiert. Dabei war es allen voran Innenministerin Nancy Faeser, die zwar dramatische Worte über die Razzia wählte, jedoch kaum erklären konnte, warum eine so große Anzahl Beamte für so eine kleine Zahl Beschuldigter notwendig gewesen sei. Zudem schwamm die 52-Jährige bei den konkreten Vorwürfen gegen die Festgenommenen. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) steht der Bundesministerin in ihren immer neuen Forderungen tatkräftig zur Seite, ausgerechnet Linken-Chefin Janine Wissler spielt sich als Verteidigerin des Rechtsstaats auf. Das FDP-Urgestein Gerhart Baum sieht die Reichsbürger schlimmer als die RAF, der WDR-Journalist Florian Flade flankierte die Ministerin nach allen Kräften.
Faeser: „Vorbereitung auf mögliche Umsturzfantasien“
Den Ton setzt zu Beginn jedoch die Gastgeberin. Das dramatische Statement der Innenministerin, „Die Ermittlungen lassen in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung blicken“, wird eingespielt und das Wort direkt an die zugeschaltete Sozialdemokratin abgegeben. „Wir sehen eine Vorbereitung auf mögliche Umsturzfantasien! Sehr genaue Planungen, dass man in den Bundestag eindringen wolle und dann sich mit Waffengewalt den Abgeordneten gegenüberstellen wollte!“ erklärt die 52-Jährige mit dramatischem Unterton. Wie genau Vorbereitungen auf Fantasien aussehen sollen und wie das genau ermittelt wurde, bleibt wohl das Geheimnis der Ministerin. Der nordrhein-westfälische CDU-Innenminister Reul springt Faeser bei. Es seien „mehr als Spinnereien“ und „total wichtig“ gewesen, „direkt sich hier einzumischen“. Weiter erklärt der 70-Jährige, dass „da ein Gebräu entsteht, im Netz, das auch zu Taten führen kann.“ WDR-Reporter Flade unterstützt kurze Zeit später: „Die RAF hat nicht ihr sozialistisches Utopia bekommen, und der NSU nicht sein Viertes Reich. Gemordet haben sie trotzdem!“
FDP-Baum: Reichsbürger gefährlicher als RAF
Auch das linke FDP-Urgestein Gerhart Baum zieht dann den gewagtesten Vergleich: Die Reichsbürger seien eventuell sogar gefährlicher als die RAF: „Die RAF hat das Volk nicht erreicht, aber hier gibt es Leute, die das Volk erreichen, und das macht mir Sorgen!“ Im weiteren Sendungsverlauf möchte Linken-Chefin Janine Wissler dann gegen angeblich rechte Netzwerke in Bundeswehr und Polizei vorgehen und die Reichsbürger nicht als Spinner abtun. Dass selbst einige Mitglieder ihrer Bundestagsfraktion die Razzia als „PR-Aktion“ bezeichneten, ist Wissler sichtlich unangenehm.
Medien wussten schon zwei Wochen von der Razzia
In der ARD-Sendung wird auch das Geheimnis gelüftet, ob die Medien schon länger von der bevorstehenden Razzia gegen die mutmaßlichen Reichsbürger wussten. Florian Flade vom WDR beantwortet das klar: Schon vor zwei Wochen haben die Medien über Kontakte und Recherche davon erfahren. Will greift das auf und fragt in Richtung der Innenministerin: „Weil das ja auch einen demonstrativen Effekt hat und zeigt, wie wehrhaft eine Demokratie ist?“ Diese verneint energisch und verlangt Aufklärung. NRW-Reul springt ihr bei: „Razzien und Hausdurchsuchungen machen immer nur Sinn, wie Frau Faeser gesagt hat, wenn man sie geheim hält. Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln. Und wenn, wird geklärt, wer da gequatscht hat!“
Will Faeser weiter die Beweislast umkehren?
In den Verteidigungsmodus gerät die Innenministerin noch einmal, als Anne Will von der 52-Jährigen wissen möchte, wie sie das Disziplinarrecht ändern und die Beweislast umkehren wolle. Dies hatte die SPD-Frau selbst angekündigt. Es folgt ein halbgarer Rückzieher. Sie habe das nur „umgangssprachlich verkürzt“ und wolle die Beweislast nicht umkehren. Dafür werde das Disziplinarrecht so aufgestellt, dass Angestellte des Öffentlichen Dienstes schon mit einem Verwaltungsakt und ohne Verwaltungsgerichtsklage von ihrer Stelle entfernt werden können. Das heißt, bald kann die Behörde selbst und nicht ein Verwaltungsgericht entscheiden, ob eine Person von ihrer Tätigkeit entbunden wird. Während Reporter Flade Bedenken anmeldet, gibt es von FDP und CDU keinen Widerspruch zu Faesers Plänen. Diese fordert prompt mehr Befugnisse ein: „Es ist nicht überall gleichermaßen, dass gegen Hass und Hetze insbesondere aus dem rechtsextremistischen Milieu durchgegriffen werden kann. Dafür brauche ich ein paar Instrumente.“ Ob diese wirklich nur gegen rechtsextreme Kräfte und nicht gegen ungewollte Meinungen verwendet werden, ist zumindest zu bezweifeln.