Die Demokratie ist tot, lang lebe die Postdemokratie!
In „Reden wir über Postdemokratie“ von Prof. Dr. Günter Scholdt, Ende des letzten Jahres im Freilich Verlag erschienen, analysiert der Germanist und Historiker auf über 90 Seiten gekonnt die aktuelle Lage der Demokratie in Deutschland.
Scholdt greift mit seinem Titel einen von Colin Crouch im Jahre 2003 geprägten Begriff auf. Postdemokratie ist, wie der Name schon sagt, „nach der Demokratie“. Scholdt erkennt in unserem Breitengrad eine „Fassadendemokratie“ oder wie es der Autor selbst ausdrückt: „vom seriösen Anspruch her ist sie [die Demokratie] nur noch ein Zombie“. Der Staat behält also alle demokratischen Verfahren und Institutionen bei, füllt diese aber nicht mehr mit Inhalt.
So kritisiert Scholdt, dass Wahlkampfveranstaltungen zu PR-Spektakeln verkommen und Regierungswechsel immer bedeutungsloser werden, da politische Gegensätze nicht mehr ausdiskutiert werden. Nahezu alle Parteien koalieren in Deutschland beliebig miteinander, es gibt nur kleine und feine Unterschiede, ansonsten sind sich die meisten Parteien einig. Dabei gehen früher einmal sicher geglaubte Garantien des Rechtsstaates verloren – nein – werden freiwillig geopfert, für das größere Wohl, den Gesinnungsstaat. Allem voran geopfert: die Meinungsfreiheit.
Meinungen von Opposition und Kritikern werden kriminalisiert
Demokratie zeichnet sich idealtypisch eigentlich dadurch aus, dass Herrschaft begrenzt und ein Wettbewerb um diese temporäre Herrschaft ermöglicht wird. Durch unparteiische Gerichte und freie Medien würde man dies sicherstellen können. In der Postdemokratie sind die Gerichte aber parteiisch und die Medien abhängig – an dieser Stelle sei auf die erschreckenden Daten der Netzzensur von YouTube und Facebook auf Seite 71 verwiesen. Scholdt führt aus, wie Meinungen von der Opposition und anderer Kritiker weitestgehend kriminalisiert werden und wo das (noch) nicht möglich ist, durch zivilgesellschaftliche Repression kleingehalten werden.
Unter einer solchen Stimmung ist es dann auch nicht schwer, Kritikern ihre (eigentlich zustehenden) Rechte vorerst zu verwehren, bis er diese eingefordert oder eingeklagt hat. Dies ist der Demokratie per se eigentlich unwürdig, aber weitergehend wird durch dieses Klima eben jede Kritik an den Herrschenden praktisch unmöglich gemacht. Was nicht verboten werden kann, das wird verpönt. Das Schlagwort, das in diesem Zusammenhang immer funktioniert, lautet: „rechts!“. Umgangssprachlich redet man auch von der „Nazikeule“. Scholdt kritisiert daran besonders, dass man gegen diese Vorwürfe nicht nur rechtlich kaum erfolgreich vorgehen kann – denn selbst wenn eine Aussage oder ein Artikel im Nahhinein berichtigt werden muss, so hat der Schaden doch schon längst seine Auswirkung entfaltet – sondern dass auf dieser Grundlage Gesetze verschärft und Gesetze gemacht werden. Gesetze, die sich nur gegen spezifische (oppositionelle) Meinungen wenden.
Keine Fehlerkultur in der „Postdemokratie“
Auch mit Fehlern werde in der Postdemokratie anders umgegangen. Statt die Ursache zu analysieren und es zukünftig anders, im besten Fall besser zu machen, wird die unangenehme Folge versucht zu umgehen. Beispielsweise bei fehlender Wahlbeteiligung: Hier wird nicht etwa das Wahlprogramm ansprechender oder realitätsnäher gestaltet, stattdessen werden neue Gruppen zur Wahl legitimiert, also das Wahlalter gesenkt oder einfach möglichst viele (der Regierung dankbare) Ausländer eingebürgert und wahlberechtigt gemacht.
Die letzte Konsequenz, die man von demokratischen Politikern noch kannte, bei einem groben Fehlverhalten seinen Rücktritt zu erklären, gibt es in der Postdemokratie nicht. Vielleicht, so die Quintessenz, ist die Postdemokratie nicht einfach ein Zustand „nach der Demokratie“, sondern sie folge zwingend auf die Demokratie. Ist also die logische Konsequenz aus dieser selbst. Wenn machttrunkene Politiker versuchen, die für die Regierenden lästigen Tücken der Demokratie zu beseitigen, um leichter regieren zu können. Womöglich, so die weitere Frage des Buches, ist der „Populismus“ die Antwort auf diese Entwicklung. Nicht umsonst nannte Philippe de Villiers diesen auch den „Schrei der Völker, die nicht sterben wollen“.
In jedem Fall ist aber klar: Als freie Bürger müssen wir auch frei über dieses Thema diskutieren können. Warum wir dies auch tun sollten, beantwortet das Werk „Reden wir über Postdemokratie“ von Prof. Dr. Scholdt.
Reden wir über Postdemokratie
Von Prof. Dr. Günter Scholdt
96 Seiten
Reihe Politikon (Nr. 5)
ISBN: 978-3-9505285-0-3
Freilich Verlag
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Diese Rezension ist zuerst erschienen in der Printausgabe 01/23 von Münzenmaiers Magazin.