Die Sommerinterviews mit den Spitzenpolitikern der verschiedenen Parteien gehören zum jährlichen Standardprogramm der Öffentlich-Rechtlichen. SO kam das ZDF nicht daran vorbei, auch den Bundessprecher der AfD, Tino Chrupalla, zum Gespräch zu bitten. Trotz der eindeutigen Schlagseite der interviewenden Journalistin konnte Chrupalla einige deutliche Punkte im Gespräch setzen.
Die Sommerinterviews des ZDF fallen generell sehr erwartungsgemäß aus. Insbesondere die Grünen dürfen sich über eine wachsweiche Gesprächsrunde ohne kritische Nachfragen freuen, während versucht wird, die einzige klar wahrnehmbare Oppositionspartei AfD mit unverschämten Fragen und ständigen Unterbrechungen in die Pfanne zu hauen. Die Regierungslinie ist nun mal Leitlinie in den Rundfunkanstalten.
Beim Sommerinterview im Jahr 2023 ließ sich Tino Chrupalla jedoch nicht so einfach aufs Glatteis führen und konnte der ZDF-„Journalistin“ Shakuntala Banerjee ordentlich Paroli bieten,
Tino Chrupalla: „Wir sind keine reine Protestpartei“
Schon bei der Anmoderation macht die Fragestellerin keinen Hehl aus ihrer ablehnenden Haltung bevor zum Gespräch in Chrupallas Wahlkreis gebeten wird. Zunächst versucht die ZDF-Fragestellerin die derzeitige Erfolgswelle der AfD kleinzureden. Chrupalla verweist dabei auf die erst kürzlich erfolgten Wahlerfolge in beispielsweise Sonneberg. Es ist schon bezeichnend, dass der AfD-Sprecher zunächst erklären muss, welche Rolle eigentlich eine Oppositionspartei zu erfüllen hat. Der Staatsfunkt kann damit nicht viel anfangen und versucht, die Alternative für Deutschland als reine Protestpartei hinzustellen.
Tino Chrupalla lässt sich das natürlich nicht gefallen und betont, die AfD ist auch eine „Programmpartei“. Die Partei hat ganz klare Alleinstellungsmerkmale was insbesondere die Friedensordnung in Europa aber auch Wirtschaftspolitik betrifft. „Das ist politischer Wettbewerb“, so Chrupalla.
ZDF im Aktivistenmodus
Das ZDF spielt daraufhin die übliche Platte und macht keinen Hehl daraus, dass die Sendung dafür da ist, dass AfD-Positionen widerlegt werden. Tino Chrupalla sorgt aber dafür, dass genau dies nicht gelingt. Der Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion zerlegt das Zuwanderungs- und Fachkräftemärchen indem er deutlich darlegt, dass die Lösung für den Fachkräftemangel eben nicht massenhafte Zuwanderung in die Sozialsysteme ist, sondern lieber eine bessere Familienpolitik und offensivere Nachwuchsförderung gefordert ist. Chrupalla will sich dafür einsetzen, dass die Deutschen den Fachkräftemangel aus eigener Kraft meistern.
Ob Fragestellerin Banerjee das Gespräch als linke Aktivistin oder Journalistin führt, daran besteht eigentlich kein Zweifel, wenn sie durch Verkürzungen und Weglassungen falsche Behauptungen über AfD-Konzepte aufstellt. Chrupalla hat dabei wenigstens Gelegenheit, mit vielen Mythen aufzuräumen und auch ganz klar widerlegen, dass die AfD sicherlich keine „Partei der Besserverdienenden“ ist, sondern für das ganze Volk Politik macht.
Europapolitik: „Nationale Entscheidungen wieder dahin verlagern, wo sie hingehören!“
Auf die Europapolitik angesprochen schildert der AfD-Bundessprecher, dass sich die Partei für einen „Neustart in Europa“ einsetzen wird. Deutschland befindet sich aktuell in der Rezension und wird deindustrialisiert. Vorschriften dazu wie beispielsweise Heizungsverbote kommen direkt aus Brüssel. „Es kann nicht sein, dass 70 bis 80 Prozent der Gesetzgebungen in Brüssel entschieden werden und wir im Prinzip in Berlin nur noch die Abnickkammer für diese unsäglichen Gesetze sind“, sagt Tino Chrupalla.
Es braucht eine Neuausrichtung in der Europapolitik und die Vorteile der EU müssen bei einem Umbau im Fokus stehen. Europa muss sich in einer multipolaren Welt seine eigenen Interessen klar definieren und vertreten.
Am Ende will die ZDF-Moderatorin noch gerne über personelle Querelen sprechen, aber Tino Chrupalla stellt klar, dass diese Zeiten des Streites der Vergangenheit angehören.
Chrupalla standhaft, ZDF aktivistisch
Trotz der Intention des ZDF konnte Tino Chrupalla einen souveränen Auftritt hinlegen. Der 48-Jährige ließ sich zu keinem Zeitpunkt provozieren oder aus der Ruhe bringen und antwortete sachlich auf die allzu plumpen Suggestiv-Fragen. Einmal mehr wurde klar, dass die Öffentlich-Rechtlichen keine AfD-Vertreter einladen, weil sie dabei vor allem selbst entzaubert werden.
alsche Zahlen, falsche Werte, falsche Behauptungen und unrealistische und unsoziale „Pläne“.
So hat Chrupalla mit Inkompetenz um sich geworfen:
Chrupalla im ZDF-Sommerinterview: AfD-Migrationspläne Risiko für Deutschland?
Kann Deutschland den Fachkräftemangel wirklich ohne mehr Migration bewältigen?
Was hat die AfD Familien mit geringem Einkommen zu bieten? AfD-Co-Chef Tino Chrupalla im Faktencheck.
Wie viel Arbeitsmigranten braucht Deutschland?
Deutschlands Wirtschaft hat mit einem wachsenden Mangel an Arbeitskräften zu kämpfen. Schon jetzt finden viele Branchen kaum ausreichend Fachkräfte, der volkswirtschaftliche Schaden ist enorm. Wirtschaftswissenschaftler und Arbeitgeberverband betonen: „Um dem Fachkräfte- und zunehmenden Arbeitskräftemangel zu begegnen und Wohlstand für alle zu sichern, brauchen wir auch mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland.“ Chrupalla hingegen glaubt, diese Herausforderung ohne zusätzliche Migration stemmen zu können. „Wir haben in der eigenen Bevölkerung genügend Potenzial, das wir schöpfen müssen“, sagte Chrupalla unter Verweis auf rund 2,5 Millionen Arbeitslose und 2,5 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss.
“Wir haben eine de facto Ein-Kind-Politik. Da müssen wir ansetzen, damit wir in 20, 30 Jahren aus eigener Kraft heraus (…) mit unserem Nachwuchs wieder die Fachkräfte generieren können.”
Tino Chrupalla im ZDF-Sommerinterview
Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge unterschätzt Chrupalla damit massiv das Ausmaß des Problems.
Bis 2060 könnte die Zahl der potenziellen Arbeitnehmer um fast 16 Millionen Menschen sinken. Um den Bedarf auszugleichen, benötige Deutschland jedes Jahr eine Nettoeinwanderung von 400.000 Menschen, so die Bundesagentur für Arbeit. Im Jahr 2022 wurden zuletzt 739.000 Kinder geboren. Dass Deutschland seine Geburtenraten innerhalb weniger Jahre so steigert, dass Einwanderung dieser Größenordnung gänzlich unnötig wird, halten Experten für unrealistisch.
Auf dem heimischen Arbeitsmarkt sieht das Institut der deutschen Wirtschaft Köln darum kaum noch Potenzial: „Die Anzahl der Erwerbspersonen in Deutschland hat einen Höhepunkt erreicht. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung kann in Zukunft kaum mit weiteren Steigerungen gerechnet werden. Somit wird der Arbeitsmarkt als Quelle für weitere Wohlstandszuwächse schon in der mittleren Frist nicht mehr zur Verfügung stehen.“
Eine höhere Erwerbsquote von Frauen oder unpopuläre Maßnahmen wie eine Rente ab 70 könnten den Mangel nicht voll ausgleichen. Andere EU-Staaten stehen vor einer ähnlichen Herausforderung, daher werden Drittstaaten immer wichtiger beim Anwerben von Fachkräften. Laut der Bertelsmann-Studie sind jedes Jahr mindestens 146.000 Menschen von außerhalb der EU nötig.
Was bietet die AfD Menschen mit kleinem Einkommen?
Die AfD verkauft sich als Anwalt des kleinen Mannes und ist damit in Umfragen auch erfolgreich. Ein wichtiger Teil davon ist das Versprechen, Menschen mit kleinem Einkommen zu unterstützen:
“Wir haben ganz klare Konzepte für Geringverdiener. In meinem Wahlkreis ist das durchschnittliche Einkommen 2.500 Euro. Auch dieser Personenkreis, (…) muss natürlich entlastet werden. Nicht nur steuerlich, auch in Abgabenform. Im Übrigen auch für die, die Kinder großziehen.”
Tino Chrupalla im ZDF-Sommerinterview
Tatsächlich spricht das AfD-Parteiprogramm aber eine andere Sprache.
Forscher des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim haben 2021 die steuer- und sozialpolitischen Forderungen aller Bundestagsparteien untersucht. „Da sieht man gut, dass die AfD hinsichtlich der in der Studie berücksichtigten Vorschläge bei den Haushalten mit niedrigem Einkommen von allen Parteien am wenigsten im Angebot hatte“, sagt ZEW-Ökonom Prof. Holger Stichnoth gegenüber ZDFheute. Konkret hätten Menschen mit einem Jahresbruttoeinkommen von weniger als 10.000 Euro keinen einzigen Euro mehr in der Tasche.
Ein Ehepaar oder Alleinerziehende mit zwei Kindern hätten laut der Studie bei 40.000 Euro Jahreseinkommen nur 20 Euro mehr.
Wer hingegen 120.000 Euro und mehr verdiene, profitiere deutlich.
Wie viele Gesetze macht die Europäische Union?
Die AfD fordert einen radikalen Rückbau der Europäischen Union. Ein Kritikpunk, den Chrupalla anführte: eine angebliche Fremdbestimmung des deutschen Parlaments durch EU-Vorgaben.
Doch sind seine Zahlen korrekt?
“Es kann nicht sein, dass 70, 80 Prozent der Gesetzgebungen in Brüssel entschieden werden und wir im Prinzip in Berlin nur noch die Abnick-Kammer sind für diese unsäglichen Gesetze.”
Tino Chrupalla im ZDF-Sommerinterview
Grundsätzlich unterscheidet die EU zweierlei Arten von Rechtsakten mit Gesetzescharakter:
Verordnungen: Diese gelten unmittelbar wie ein nationales Gesetz
Richtlinien: diese müssen innerhalb einer Frist in nationales Recht umgesetzt werden.
Seit mehreren Jahrzehnten kursiert die angebliche Quote von 80 Prozent Gesetzgebungsanteil durch die EU. Ihren Ursprung hat sie wohl in einer Aussage des damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors von 1988, der diesen Anteil für die Zukunft prophezeite.
Seitdem wird dieser Wert immer wieder ungeprüft herangeführt.
Statistische Auswertungen kamen seitdem mehrfach auf deutlich niedrigere Werte. In der Legislaturperiode zwischen 2005 und 2009 habe der EU-Anteil etwa bei 31,5 Prozent gelegen. Neuere Zahlen sind jedoch kaum vorhanden, weshalb ZDFheute für die laufende Periode selbst nachgezählt hat.
Von den 170 seit Oktober 2021 vom Bundestag verabschiedeten Gesetzesvorhaben fußen 51 auf Richtlinien der EU, genau 30 Prozent. Nimmt man auch die 197 EU-Verordnungen aus dem gleichen Zeitraum hinzu, kommt man auf einen EU-Anteil von rund 67,8 Prozent. Damit lag Chrupalla relativ nah am tatsächlichen Wert.
Dass der Bundestag trotzdem souverän entscheidet, wie er EU-Richtlinien umsetzt und auch Institutionen wie das EU-Parlament demokratisch legitimiert sind, unterschlug der AfD-Politiker in seiner Antwort.
Chrupalla mit falscher Zahl zu Staatsbediensteten
Mit einer Aussage über die Zahl der öffentlichen Angestellten in Deutschland lag Chrupalla deutlich daneben.
Die „Staatsquote“ sei hoch wie nie, so der AfD-Co-Vorsitzende. „Staatsquote heißt, dass mittlerweile im öffentlichen Dienst, auch in der Beamtenschaft fast 52 Prozent aller Deutschen angestellt sind. Die produktiven Menschen in diesem Land, die wertschöpfend arbeiten, nimmt von Jahr zu Jahr ab“, sagte Chrupalla weiter. Tatsächlich sind es deutlich weniger als 52 Prozent.
„Deutscher Staat vergleichsweise schlank“, fasst das Statistikportal statista zusammen. Die Quote der Beschäftigen im öffentlichen Sektor lag laut OECD 2021 bei 11,1 Prozent und damit deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von 18,6 Prozent. In Frankreich, Großbritannien, den USA und anderen Industriestaaten gibt es deutlich mehr Staatsbedienstete. Zudem ist der Anteil in Deutschland seit dem Jahr 2000 laut statistischem Bundesamt gesunken. Worauf sich Chrupalla vermutlich in seiner Aussage bezog, sind die Staatsausgaben als Anteil des Bruttoinlandsprodukts, was auch als Staatsquote bezeichnet wird. Hier lag Deutschland 2021 bei rund 52 Prozent – und damit exakt im EU-Durchschnitt.
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/afd-chrupalla-sommerinterview-faktencheck-100.html