Bei Maybrit Illner sieht sich der AfD-Ehrenvorsitzende Dr. Alexander Gauland gleich drei verbissenen Kontrahenten und einer ziemlich einseitigen Moderatorin gegenüber. Doch bei allen verbalen Angriffen auf seine Person und Partei bleibt der 82-Jährige ruhig und sachlich. Zudem überzeugt der Bundestagsabgeordnete mit historischem Wissen und der Fähigkeit zur Einordnung geopolitischer Konflikte, wie sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen selten geworden ist.
Die AfD knackt derzeit Umfragerekord um Umfragerekord und liegt bundesweit derzeit bei um die 20 Prozent. In den ostdeutschen Bundesländern liegt der Anteil derjenigen, die der Oppositionspartei ihre Stimme geben würden, sogar bei über 30 Prozent. Ignorieren können selbst die öffentlich-rechtlichen Sender diese Zahlen nicht mehr und behandeln die AfD mittlerweile vermehrt in ihren Sendungen. Bei Maybrit Illner fand sich am Donnerstagabend Dr. Alexander Gauland, der Ehrenvorsitzender der Partei ist, mit seinen drei wütenden Mitdiskutanten Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Roderich Kiesewetter (CDU) und Spiegel-Journalistin Melanie Amann im ZDF-Studio ein. Gesprochen wurde mitunter emotional über das Thema: NATO stärken, Russland provozieren? Doch auch die Konstellation drei gegen einen brachte den AfD-Altmeister nicht aus der Fassung.
Gauland: Außenministerin müsste zwischen Kiew und Moskau stärker vermitteln
Die ersten Minuten der Sendung folgte das übliche Politiker-Blabla, dass so in nahezu allen Sendungen zum Russland-Ukraine-Konflikt zu hören ist. An der Stelle, als gemutmaßt wird, was Russlands Staatschef Wladimir Putin in die Ergebnisse des kürzlich stattgefundenen NATO-Gipfels in Vilnius hineininterpretieren könne, steigt AfD-Chef Alexander Gauland kurz in die Diskussion ein. „Ich war froh, dass Herr Biden und Herr Scholz dafür gesorgt haben, dass die Ukraine nicht in die NATO aufgenommen wird“, so der AfD-Ehrenvorsitzende. Die NATO dürfe sich nicht weiter an die russische Grenze ausdehnen, fährt der 82-Jährige fort und unterstreicht die Position seiner Partei: „Eigentlich müsste unsere Außenministerin täglich zwischen Kiew und Moskau hin- und herfahren. Sie müsste versuchen, dass ist unser deutsches Interesse, den Frieden wiederherzustellen.“ Dies sei zwar alles andere als einfach, trotzdem müsse jetzt die „Diplomatie einsetzen, damit es einen Kompromiss zwischen diesen beiden Nachfolgerstaaten des zaristischen und des Sowjetimperiums gibt“.
Gauland verweist auf Genscher
Wenige Minuten später verweist Gauland dann auf eine Rede des deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher im Jahr 1990, in der der Liberale davon sprach, dass die NATO nicht über Deutschland hinaus ausgedehnt würde. Das deutsche Interesse, so der AfD-Mann, bestehe heute in einer Friedensinitiative, darüber hinaus müsse Russland in eine gemeinsame Ordnung einbezogen werden. Der Weg, die NATO immer weiter nach Osten auszudehnen, sei der falsche. Die russische Großmacht fühle sich durch diese stetige Verschiebung bedroht, erklärt der AfD-Politiker. Selbst ein ZDF-Einspieler verweist an dieser Stelle darauf, dass es in der Vergangenheit schon fünf NATO-Osterweiterungen gegeben habe, was jedoch FDP-Politiker Graf Lambsdorff, CDU-Mann Kiesewetter und Spiegel-Frau Amann nicht davon abhält, den Konflikt gegen jeden historischen Fakt wieder auf eine moralische Ebene zu heben. Der böse Russe, der gute Westen, die Nato als reines Verteidigungsbündnis. Hat man alles schon hundertfach gehört.
„Ich finde es keine gute Idee, wenn deutsche Panzer russische Soldaten töten“
Mit fortschreitender Sendezeit wird Gauland immer härter von den weiteren Diskussionsteilnehmern angegangen. Amann behauptet, der ehemalige AfD-Vorsitzende stelle die „Gefühle Russlands“ über das Völkerrecht und Kiesewetter blökt in US-Gehorsam andauernd dazwischen, wenn Gauland spricht. Dieser bleibt aber bei seiner klaren und sachlichen Linie: „Gegenüber einer Weltmacht, die noch dazu Atommacht ist, muss ich vorsichtiger sein, als wenn ich eine Auseinandersetzung mit Zypern habe.“ Der Bundestagsabgeordnete wird in den folgenden Minuten noch deutlicher: „Ich finde es keine gute Idee, wenn deutsche Panzer russische Soldaten töten.“ Kiesewetter ist prompt wieder zur Stelle und behauptet, es seien ukrainische Panzer, da Deutschland diese ja dem osteuropäischen Staat übergeben habe. Gauland lächelt aufgrund dieser kruden Ansicht aus der Union und formuliert noch einmal klar und deutlich: „Wir haben aus gutem Grund immer gesagt: Keine Waffenlieferungen in Kriegsgebiete und in Spannungsgebiete. Wir Deutschen hätten es nicht machen sollen.“
Illner kommt mit Vogelschiss-Zitaten – Gauland gibt Geschichtsstunde
Auch Moderatorin Illner gibt ihre relative neutrale Haltung vom Sendungsbeginn Stück für Stück auf und beruft sich an einer Stelle tatsächlich auf die völlig verstaubte „Vogelschiss“-Äußerung. Der AfD-Ehrenvorsitzende lässt sich das aber nicht gefallen und erläutert eindringlich, dass es sich hier um eine missverständliche Äußerung gehandelt und er sich mehrfach dafür entschuldigt habe. Als die ZDF-Frau später, flankiert von bald Botschafter Graf Lambsdorff, auf Aussagen des AfD-Politikers verweist, der gesagt hatte, dass ein starkes Russland auch immer ein freundliches Russland für Deutschland sei, gibt der Ehrenvorsitzender der Partei den beiden eine kostenlose Geschichtsstunde: „Die Russen haben uns geholfen 1763, die haben uns geholfen 1813, die haben uns geholfen bei der deutschen Vereinigung […] und 1990 wieder.“
„Wollen wir bis zum letzten Ukrainer und bis zum vorletzten Russen kämpfen?“
So viel historisches Wissen ist selten in den immergleichen Shows des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dass sich zumeist in infantilem Geschwätz und verbalem Virtue-Signalling erschöpft. Auch in der zweiten Hälfte der ZDF-Sendung versuchen Lambsdorff und Kiesewetter, keinen Zweifel daran zu lassen, dass sie und ihre Parteien auf der „guten“ Seite der Geschichte stehen. Mit einfachen Fragen kontert Gauland: „Wollen wir bis zum letzten Ukrainer und bis zum vorletzten Russen kämpfen?“ Es scheint so, als wollen das manche Gesprächsteilnehmer am Tisch sogar. Zum Glück kann der Zuschauer selbst entscheiden, welcher Meinung er sich hier anschließen möchte.