Der Verfassungsschutz führt in seinem neuen Bericht die neue Kategorie der verfassungsfeindlichen „Delegitimierer“ ein. Zu diesen zählt auch, wer das Handeln der Regierung, sei es etwa in der Corona-Krise oder dem Katastrophenschutz, in einer „verächtlich machenden“ Weise kritisiert. Prof. Murswiek kritisiert dieses Vorgehen scharf: Durch diese Erweiterung der Extremismus-Definition werde der Verfassungsschutz selbst zum Problem für die Demokratie.
Wie weit darf Kritik der Opposition an der Regierung und ihrem Handeln gehen? Was ist legitime Oppositionsrhetorik und wo fängt eine „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ an? Zu dieser Fragestellung hat Prof. Dr. Dietrich Murswiek, emeritierter Professor an der Universität Freiburg, einen Artikel veröffentlicht. Anlass ist der Verfassungsschutzbericht 2021, welcher im Juni 2022 veröffentlicht wurde. Murswiek fällt ein vernichtendes Urteil über den Verfassungsschutzbericht und das darin enthaltene Demokratieverständnis.
Murswiek nennt zu Beginn die Flutkatastrophe im Ahrtal als Beispiel eines Vorfalles, bei dem der Verfassungsschutz in seinem Bericht zu Unrecht „Verfassungsfeinde“ ausmachte. Unter anderem wurde in diesem Bericht als „Delegitimierer“ aufgeführt, wer „aktiv den Eindruck“ erweckte, der Staat wäre mit der Lage „komplett überfordert gewesen“. Murswiek entgegnet: Ebenjenes Staatsversagen sei inzwischen öffentlicher Konsens. Unter anderem berichtete die Frankfurter Rundschau von einer „Kette des Versagens“. Auch an die Öffentlichkeit gelangte Polizeivideos sowie der Rücktritt des rheinland-pfälzischen Innenministers Roger Lewentz (SPD) bestätigten in jüngster Vergangenheit diese Lesart der Dinge.
„Delegitimierung“: Kritik an Regierung extremistisch?
Warum sollten nun also Bürger oder auch eine Oppositionspartei wie die AfD sich einer verfassungsschutzrelevanten Vergehens schuldig machen, wenn sie lediglich Kritik an der Politik der Regierung oder ihrer Mitglieder üben? Die Behörde von Thomas Haldenwang führt hierzu aus:
„Diese Form der Delegitimierung erfolgt meist nicht durch eine unmittelbare Infragestellung der Demokratie als solche, sondern über eine ständige Agitation gegen und Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates und ihrer Entscheidungen.“
Eine Bekämpfung des Staates und seiner Institutionen durch Kritik an seinen Akteuren also?
Murswiek merkt hierzu jedoch an, dass der Verfassungsschutz mit dieser Argumentation Kritik an der Regierung mit Kritik an dem demokratischen System als solches verwechsle. Er ermächtige sich weiter dazu, die Opposition unter pauschalen Extremismusverdacht zu stellen. Jedoch ist ja gerade die bisweilen auch scharfe Kritik der Opposition am Handeln der Regierung zentral für das Funktionieren einer parlamentarischen Demokratie. Die inhaltliche Richtigkeit dieser Kritik zu bewerten steht einer staatlichen Behörde wie des Verfassungsschutzes nicht zu, entscheiden tun dies die mündigen Bürger an der Wahlurne. Selbstverständlich kann die Regierung ihrerseits mit Gegenkritik reagieren, keinesfalls jedoch durch staatliche Überwachung mittels eines Inlandsgeheimdienstes.
Neue Extremismusdefinition dient Bekämpfung oppositioneller Strömungen
Die Kategorie des „Verächtlichmachens“ des Staates und seiner Institutionen kritisiert Murswiek als ein „Gummibegriff“. Sie dient in Folge nichts anderem als der Delegitimation oppositioneller Strömungen. Ein Beispiel für eine solche Strömung wäre die seit 2020 gegen die Coronamaßnahmen protestierende „Querdenkerbewegung“, welche nicht zuletzt Anlass für diese Schaffung neuer Kategorien von „Verfassungsfeinden“ war. Mit dieser Umdefinition des Extremismusbegriffes und der Einführung eines vollständig neuen Extremismuskategorie der „Delegitimierer“ definiert der Staat in Form des Verfassungschutzes und ihres von Angela Merkel eingesetzten Chefs Haldenwang seine Kritiker zu Extremisten um. Bis zur Überwachung und Verfolgung dieser wie in autoritären Staaten ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.