Es wurde als großer Sieg der FDP und des Bundeskanzlers verkauft: In einem Schreiben von Montagabend erklärte Olaf Scholz (SPD) nach tagelangem Ampelzank, dass die drei verbliebenen Kernkraftwerke „bis längstens zum 15.4.2023“ weiter am Netz bleiben sollen. Doch ist es tatsächlich ein Erfolg für Finanzminister Christian Lindner (FDP) und den Regierungschef? Bei genauerem Hinsehen erweist sich alles als politisches Schmierentheater.
Die Liberalen bekommen ihre Forderung nach einem Weiterbetrieb bis mindestens 2024 nicht mal im Ansatz durchgesetzt, der Kanzler bringt sich mit seinem selbst gesetzten, finalen Limit am 15. April kommenden Jahres selbst in Bedrängnis. Die eigentlichen Gewinner der Verhandlungen sind, mal wieder, die Grünen. Allen voran, weil der Streckbetrieb im Emsland aufgrund abgebrannter Brennelemente bis April unrealistisch erscheint.
Die FDP verkauft es als großen Sieg, der Kanzler auch: Die drei verbliebenen Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland bleiben bis Frühling 2023 am Netz. Olaf Scholz nutzte für diese Entscheidung die sogenannte Richtlinienkompetenz, die in Paragraf 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung festgelegt ist. Dort heißt es:
„Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der inneren und äußeren Politik. Diese sind für die Bundesminister verbindlich und von ihnen in ihrem Geschäftsbereich selbstständig und unter eigener Verantwortung zu verwirklichen. In Zweifelsfällen ist die Entscheidung des Bundeskanzlers einzuholen.“
Das entsprechende Schreiben wurde durch das Bundespresseamt an Finanzminister Christian Lindner (FDP), Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verschickt.
Scholz setzt Energiesicherheit Deutschlands für Koalitionsfrieden aufs Spiel
Brisant dabei: In seinem Schreiben formulierte Scholz ein finales Enddatum für den Betrieb der Kernkraftwerke. Es solle die gesetzliche Grundlage geschaffen werden, um den Betrieb der drei verbliebenen Kernkraftwerke „über den 31.12.2022 hinaus bis längstens zum 15.4.2023 zu ermöglichen“.
Eine unverantwortliche Formulierung!
Klar ist, dass der über mehrere Tage andauernde Streit zwischen FDP, Grünen und SPD die Energiesicherheit in Deutschland aufs Spiel gesetzt hat – und die finale Lösung keinem weiterhilft. Die drei verbliebenden Kernkraftwerke bleiben gerade einmal vier Monate länger am Netz, die Wiederinbetriebnahme der im vergangenen Jahr vom Netz gegangenen Meiler wurde nicht einmal diskutiert. Und die FDP? Feiert die Mini-Verlängerung mit absehbarem und endgültigem Ende, obwohl sie die AKWs bis 2024 laufen lassen wollte. Woher soll der Strom eigentlich ab April 2023 kommen? Ist die Energiekrise ab April 2023 gemeistert? Sicher nicht.
Sieg für die Grünen? Weiterbetrieb des AKW Emsland nicht gesichert
Hinzu kommt, dass sich der Weiterbetrieb für das AKW Emsland keinesfalls problemlos gesichert werden kann. Im August sagte der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD), dass es keinen Steckbetrieb im Emsland geben könne. „Die Brennelemente sind bereits jetzt derart abgebrannt, dass sie nicht mehr genügend Energie haben, um bis zum Jahresende im Vollbetrieb zu laufen“, so Lies damals. Es müssten neue Brennelemente bestellt werden, die vier bis fünf Jahre eingesetzt werden, „damit die dann so weit abgebrannt sind, dass man sie einlagern kann“. Einen Wiedereinstieg in die Kernenergie lehnt die Ampel aber kategorisch ab. Ist der Emsland-Deal also nur ein Bluff, um die FDP zu beruhigen und die Kompromissforderung der Grünen, Isar 2, Neckarwestheim 2 bis April und Emsland bis Jahresende laufen zu lassen, über einen Umweg zu erfüllen?
Der Verdacht liegt nahe.
AfD: Scholz Ankündigung kann nur der Anfang sein
Die AfD-Bundestagsfraktion äußerte sich kritisch zur Mini-AKW-Verlängerung und dem faulen Kompromiss der Chaos-Ampel. „Die Entscheidung von Bundeskanzler Scholz, die Laufzeit der drei verbliebenen Kernkraftwerke bis Mitte April zu verlängern, kann nur ein erster Schritt sein“, so Tino Chrupalla und Dr. Alice Weidel, Fraktionschefs in Berlin. Die Bundesregierung müsse nun schnellstmöglich einen Plan für die langfristige Verlängerung der Laufzeiten der drei noch aktiven Kernkraftwerke sowie für die Wiederinbetriebnahme der im vergangenen Jahr vom Netz gegangenen Meiler vorlegen. Nur so könne die Versorgungssicherheit mittelfristig gesichert und schwerer Schaden von Bürgern und Industrie abgewendet werden, erklärten die Vorsitzenden der Alternative.