Corona-Impfpflicht für alle? Ab 50? Ab 60?
In den Büros des Bundestags laufen in diesen Tagen die Drähte heiß. Haben die allgemeinen Impfpflichtbefürworter wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Janosch Dahmen (Grüne) mittlerweile erkannt, dass dafür keine Mehrheit zu erreichen ist, versuchen sie nun, einen gruppenübergreifenden Kompromissvorschlag zu finden.
Doch wie sieht es eigentlich auf rechtlicher Eben aus? Rechtsprofessor Kai Möller hat in einem Gastbeitrag eines deutschen Nachrichtenmagazins sieben Gründe aufgeführt, warum es in einem Verfassungsstaat keinen Raum für ein Gesetz dieser Art gibt. Eine Impfpflicht, auch ab 60 Jahren, widerspreche dem Grundgesetz und sei sogar nutzlos, so Möller. Dabei legt der Autor zu Beginn seiner Ausführungen eine Unterscheidung der angloamerikanischen Rechtsphilosophie zwischen „principle“ und „policy“ zugrunde. Bei „policy“ geht es um die Erreichung eines erstrebenswerten Ziels, bei „principle“ um moralische Standards wie Gerechtigkeit und Fairness. Beide Aspekte können offensichtlich bei einer Impfpflicht unter einen Hut gebracht werden. Aber der Reihe nach.
Punkte 1-4: Ein unbrauchbares Gesetz!
Möller startet seine Aufzählung mit den „policy“-Aspekten, also der Erreichung eines erstrebenswerten Ziels. Dieses Ziel wird beim Impfpflichtgesetz als das Vermeiden einer Überlastung des Gesundheitssystems identifiziert. Doch fragt der Rechtsprofessor:
„Da die Krankenhäuser schon diesen Winter nicht annähernd überlastet waren, woher kommt die Überzeugung, dass die Überlastung im nächsten Winter drohe?“
Dem Gesundheitspolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion, Janosch Dahmen, wirft er Behauptungen in Blaue vor. Annahmen, dass die gefährlichste Corona-Variante noch drohe, seien Fantasie. Auf Fantasie aber sollten gute „policies“ nie beruhen, erklärt der 46-Jährige.
Im nächsten „policy“-Punkt verweist Rechtsprofessor Möller auf die Unterschiede zwischen Omikron- und Deltavariante. Die sehr viel mildere Omikron-Variante sei nun dominant, hinzu gebe es mittlerweile sehr gute Medikamente gegen schwere Corona-Verläufe. „Gute policymakers passen ihre Ansätze einer veränderten Lage an“, so Möller.
Punkt drei befasst sich mit dem deutschen Sonderweg. Einzig Italien und Griechenland hätten altersbezogene Impfpflichten, sonst kein weiterer Staat. Deutschland besitze darüber hinaus „ein Mehrfaches der Krankenhaus- und Intensivbetten vieler anderer Länder“. Wieso also die Impfpflicht? Gute „policy-makers“ blicken über den nationalen Tellerrand, erklärt der Rechtsprofessor.
Zuletzt müssten bei einer „good policy“ gesellschaftliche Folgen mitgedacht werden. Möller findet es unplausibel anzunehmen, dass sich viele Ungeimpfte auf einmal doch für eine Impfung öffnen. Vielmehr vermutet der Professor of Law der London School of Economics, dass die Bürger eher Impfnachweise fälschen würden oder Ärzte aufsuchen, die Impfungen nicht wahrheitsgemäß bescheinigen. Mit der übergriffig wahrgenommenen Politik würden sich viele Bürger weiter vom Staat abwenden und die Legitimität des Rechts infrage stellen.
Alles in allem ist das Gesetz zur Impfpflicht, so der Forscher im Ergebnis, ein unbrauchbares Gesetz.
Punkte 5-7: Ein verfassungswidriges Gesetz!
Im zweiten Abschnitt seines Textes geht Rechtsprofessor Möller dann auf die „prinicples“ ein, also die moralischen Standards.
Der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, so Möller, sei problematisch und rechtfertigungsbedürftig:
„Die Impfpflicht aber geht in ihrer Intensität über das, was wir bisher im Interesse des Allgemeinwohls zu akzeptieren bereit waren, noch deutlich hinaus.“
Betroffenen werde gegen ihren Willen eine Substanz in den Körper gespritzt. Der 46-Jährige fordert hier ein Gedankenexperiment: „Wer nicht versteht, wie krass das ist, der möge sich einmal vorstellen, dass ihm mit einer Substanz, deren Verwendung er ablehnt, das Gleiche passiert.“
Die Prinzipien von Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit, fasst der Londoner Professor zusammen, würden zwingend erforderlich machen, auch die Perspektiven der Betroffenen einzunehmen.
Als nächsten Punkt gegen ein Impfpflichtgesetz benennt der Rechtsprofessor die bedingte Zulassung der Impfstoffe. Allein dies sollte eine bußgeldbewährte Impfpflicht ausschließen, erklärt der Forscher. Jeder angehende Jurist wäre vor der Pandemie im Staatsexamen durchgefallen, hätte dieser einen nur bedingt zugelassenen Impfstoff zur Pflicht erklärt.
Zuletzt wendet sich Möller noch der Ü60-Impfpflicht zu. Diese Option sei „die Verfassungswidrigkeit noch deutlicher ins Gesicht geschrieben als der allgemeinen (Ü18-)Impfpflicht.“ Es sei erkennbar, dass es nicht mehr um den Fremdschutz gehe, sondern eine „paternalistisch motivierte Impfpflicht.“ Dies breche ein Tabu: handelt: Falls dieses Denken Schule machen sollte, „kann als Nächstes die Cholesterin- oder Blutdrucksenkerpflicht kommen“, schlussfolgert Möller.
Fazit: Weder aus policy – noch aus prinzipiellen Erwägungen gibt es in einem Verfassungsstaat Raum für eine Impfpflicht gegen Covid
Die aufgezählten Punkte des Rechtsprofessors unterstreichen noch einmal, dass eine Covid-Impfpflicht weder brauchbar noch verfassungsgemäß ist. Deutschland sei nicht mal annährend in dem Bereich einer existenziellen Notlage, die eine Verletzung der Patientenautonomie rechtfertige, fasst der Rechtsprofessor zum Ende zusammen. Es gebe weder aus „policy“ noch „principle“- Aspekten Raum für eine Covid-Impfpflicht in Deutschland. Ein Satz aus dem letzten Abschnitt sticht besonders hervor:
„Jeder, der sich gerne über die Ungeimpften ereifert, weil sie ja so irrational und unvernünftig seien, halte einen Moment inne und frage sich, wie vernünftig und rational der eigene Lebensstil ist und was nach dem Präzedenzfall, der hier gesetzt wird, in Zukunft in Bezug auf ihn selbst möglich sein wird.“