Lange wurden die Anträge zu einer allgemeinen Impfpflicht gegen Covid-19 in den Hinterzimmern des Bundestags vorbereitet, nun sind sie endgültig im Hohen Haus in Berlin angekommen. Hatten die im Bundestag vertretenen Parteien im Wahlkampf noch beschworen, dass es keine Corona-Impfpflicht geben werde, ist mittlerweile eine einrichtungsbezogene Pflicht für das Kranken- und Pflegepersonal verabschiedet.
Am heutigen Donnerstag fand nun die lange erwartete erste Debatte zu den fünf vorliegenden Gruppenanträgen statt, die teilweise interfraktionell ausgearbeitet wurden und ohne Fraktionszwang abgestimmt werden sollen. Nach Hörung der fünf Anträge wird deutlich, dass einzig die AfD-Fraktion eine allgemeine Impfpflicht gegen das Corona-Virus und auch die bereits verabschiedete, einrichtungsbezogene Impfpflicht ablehnt. In den anderen Fraktionen scheint keine Einigkeit über das Thema zu herrschen – teilweise stammen mehrere Anträge von Mitgliedern nur einer Fraktion.
Heike Baehrens/Robert Habeck/Karl Lauterbach (SPD/Grüne/SPD: Antrag allgemeine Impfpflicht)
Heike Baehrens von der SPD eröffnet die Aussprache und spricht für sich und 236 weitere Parlamentarier, die eine allgemeine Impfpflicht befürworten. Deutschland habe eine der höchsten Inzidenzen, das Virus sei „nicht berechenbar“. Es müssten Grundlagen geschafft werden, um eine Überlastung des Gesundheitssystem zu verhindern, so Baehrens, die bis zum Herbst eine hohe Impfquote erreichen möchte, um „vor die Welle“ zu kommen. Der Gesetzesentwurf der Befürworter der allgemeinen Impfpflicht sei gut ausgestaltet und ein echter Weg der Verantwortung, betont die 66-Jährige. Zum Ende appelliert sie an die Parlamentarier des Plenums, dem Antrag zuzustimmen: Der Herbst müsse im Blick behalten, die Pandemie langfristig unter Kontrolle gebracht werden. Die allgemeine Impfpflicht sei der Weg der Vernunft und der Vorsorge.
An späterer Stelle der Debatte schließt sich Bundeswirtschaftsminister Habeck dem Antrag zu einer allgemeinen Impfpflicht an. Es müsse alles getan werden, um Vorsorge zu treffen, so der 52-Jährige, der das Coronavirus als „mutantenreicher als gedacht“ bezeichnet. Habeck führt aus, dass Freiheitsinterpretation der Wenigen nicht zu Freiheitseinschränkungen für viele führen könnten.
Beinahe am Ende der Debatte wirft auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach seinen Hut in den Ring und berichtet von möglichen Mutationen, die schwerere Verläufe auslösen könnten. Es sei Zeit, dass diejenigen nun die Regeln beachten, „die sie die letzten Monate nicht beachtet haben.“ Lauterbach schreit geradezu, als er für eine Impfpflicht wirbt und den Ungeimpften unterstellt, dafür verantwortlich zu sein, „dass wir nicht weiterkommen.“
Sepp Müller/Tino Sorge (CDU/CSU, Antrag Impfmechanismus)
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Sepp Müller beginnt seinen Vortrag mehrere Minuten mit einem Blick auf die Lage in der Ukraine, bis er zum eigentlichen Thema spricht und erklärt, dass es im Bundestag keine Mehrheit für eine allgemeine Impfpflicht mehr gebe. Besser, so der 33-Jährige, sei der Impfmechanismus der Union: Es brauche ein Impfregister, einen 14-tägigen Bericht des Gesundheitsministers Lauterbach und einen Vorsorgemechanismus, der eine Impfpflicht nach Alterskohorten in Gang bringt, wenn es die Situation erfordert. So wäre die Impfung für über 50- und 60-Jährige sowie einige Berufsgruppen in Krisenzeiten verpflichtend, was auch Müllers Kollege Tino Sorge befürwortet. Der Kompromiss eines Impfvorsorgemechanismus liege seit Wochen auf dem Tisch, berichtet Sorge, der sich in seinem Redebeitrag vor allem auf das Impfregister als Datengrundlage bezieht.
Dr. Alice Weidel/Martin Sichert (AfD: „Impfpflicht ist Akt der Entrechtung!“)
„Die verschiedenen Anträge zu einer Impfpflicht in verschiedenen Spielarten sind das Produkt von verbohrter Besessenheit und ignoranter Tatsachenverweigerung“, beginnt die Fraktionsvorsitzende der AfD, Dr. Alice Weidel, ihre Ausführungen. Deutschland bleibe mit dem Weg einer allgemeinen Impfpflicht ein „europäischer Sonderling“, die Impfplicht sei auf falschen Tatsachenbehauptung aufgebaut. Die 43-Jährige verweist auf die nie drohende Überlastung des Gesundheitssystems und die Schwächen der Impfung: Dass eine Impfung andere wirksam vor Ansteckung schützt und die Ausbreitung des Virus dämpft, sind Fake News – das gibt inzwischen sogar das Robert-Koch-Institut zu!“ Eine Impfpflicht sei auch nicht erforderlich, um Lockdowns zu verhindern: Die Bundesregierung könnte einfach keine mehr verhängen, so Weidel. Es gebe keine legitime Rechtfertigung für eine Impfpflicht, ab 18, auch nicht ab 50, oder auf Vorrat wie bei der Union: Die Verhältnismäßigkeit sei nicht gegeben, mildere Maßnahmen möglich. „Sehr geehrte Kollegen: Sie reiten ein totes Pferd, steigen Sie ab!“ beendet die AfD-Fraktionschefin ihren emotionalen Appell für die Freiheit der Impfentscheidung.
Martin Sichert, gesundheitspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion, schließt sich den Ausführungen von Weidel zu einem späteren Debattenzeitpunkt an. Sichert erklärt, dass die Impfung keinen ausreichenden Fremd- und Eigenschutz liefere und so „eindeutig verfassungswidrig“ sei. Der 41-Jährige beklagt fehlende Studien zur Impfung und empfindet es als Satire, dass vier von sechs Bundestagspräsidenten an Corona erkranken, im Bundestag aber immer noch über eine Impfpflicht diskutiert werde.
Manuel Höferlin (FDP, Antrag „Impfbereitschaft ohne allgemeine Impfpflicht gegen Sars-CoV-2 erhöhen“)
Die Antragssteller, die Manuel Höferlin vertritt, befürworten die Impfung zwar, lehnen eine allgemeine Pflicht dazu jedoch ab. Die Impfung schütze vor einem schweren Verlauf, so der FDP-Abgeordnete, der diese auch mit Nachdruck empfiehlt. Jedoch resultiere daraus nicht die Einführung einer Pflicht. Die Prognosen vollgelaufener Intensivstationen entbehren jeder Grundlage, erklärt der 49-Jährige, der auf die ausbleibende Impfpflicht in unseren europäischen Nachbarstaaten verweist. „Statt Zwang wäre Einsicht das Gebot der Stunde“, mahnt Höferlin, der sich eine offene und ehrliche Diskussion wünscht.
Dr. Andrew Ullmann (FDP, Antrag Impfpflicht ab 50 Jahren)
Dr. Andrew Ullmann aus der FDP-Fraktion stellt den Antrag zur allgemeinen Impfpflicht ab 50 Jahren vor, der zusätzlich eine verpflichtende Beratung aller Bürger ab 18 Jahren vorsieht. Ullmann weist darauf hin, das Gesundheitssystem vor Überlastung schützen zu wollen, auch eine professionelle und gute Aufklärung sei dafür notwendig. Diese sei ein milderes Mittel als eine allgemeine Impfpflicht, jedoch müsse auch die Impflücke der vulnerablen Gruppen geschlossen werden. So baue der Gesetzesentwurf mit einer Impfpflicht ab 50 Brücken, erklärt der 59-Jährige. Weihnachten könne so endlich wieder gemeinsam gefeiert werden, wagt Ullmann einen Ausblick in die Zukunft.
Die Fraktionen schlingern, die AfD steht zu ihrem Wort
Nach einer langen und ausgiebigen Debatte im Bundestag stehen nun fünf Anträge, die wohl Anfang April zur Abstimmung im Bundestag stehen werden. Auf der einen Seite steht Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der die Ungeimpften als Schuldige identifiziert hat und unbedingt eine Impfpflicht durchs Parlament bringen möchte. Auf der anderen Seite steht die Alternative für Deutschland, die diesen empfindlichen Grundrechtseingriff entschieden ablehnt. In der Mitte davon stehen drei Schlingeranträge, die zwar einen Kompromiss im Sinn haben, die Grundrechte der Bürger aber dennoch massiv beschneiden. Allen voran die CDU/CSU scheint sich jetzt damit schmücken zu wollen, offiziell nicht mehr einer allgemeinen Impfpflicht zuzustimmen. Doch ist der von ihr vorgestellte Impfmechanismus genau das: Eine Impfpflicht auf Vorrat.
Die Union bleibt, was sie schon die letzten Jahre war: eine feige Konservative ohne Rückgrat.
TM