Das steckt hinter der Verkürzung des Genesenenstatus

Das steckt hinter der Verkürzung des Genesenenstatus

Es hatte den Anschein, als sollte es leise an der öffentlichen Debatte „vorbeigeregelt“ werden, doch letztlich kam Medienberichten zufolge auch das Robert-Koch-Institut (RKI) nicht an einer offiziellen Bestätigung herum: Der Genesenenstatus gilt fortan nur noch 90 Tage statt wie bisher sechs Monate. Dabei sollte ursprünglich nur eine „europäische Vereinheitlichung“ auf 180 Tage vorgenommen werden.

Die Fraktionsspitze der AfD im Bundestag hat die Bundesregierung in einer Pressemitteilung dazu aufgefordert, die Verkürzung des Genesenenstauts umgehend zurückzunehmen. Alice Weidel, eine der Fraktionsvorsitzenden, bezeichnete die Entscheidung zur Verkürzung als „Skandal“. Fraktionschef Chrupalla forderte von Bundeskanzler Scholz (SPD), seinen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) „zurückzupfeifen“.

Es stellt sich die Frage: Woher kommt der plötzliche Sinneswandel, der Genesene dramatisch in ihrer Freiheit beschneidet?

Das diesbezügliche Unheil begann mit einer Rede von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Bundesrat. Dort kündigte er an, dass in Zukunft das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sowie das RKI insbesondere darüber entscheiden sollen, wie lange der Genesenenstatus und der Zustand „vollständig geimpft“ gültig sind – und nicht mehr das Parlament. Das Gesetzesvorhaben wurde anschließend durch den Bundesrat bestätigt.

„Wissenschaftliche Evidenz“ kommt recht dünn daher

Die Begründung dieser Änderung liest sich ziemlich schwammig: Auf der Seite des RKI heißt es, diese sei vorgenommen worden, „da die bisherige wissenschaftliche Evidenz darauf hindeutet, dass Ungeimpfte nach einer durchgemachten Infektion einen im Vergleich zur Deltavariante herabgesetzten und zeitlich noch stärker begrenzten Schutz vor einer erneuten Infektion mit der Omikronvariante haben“.

Doch diese angebliche „wissenschaftliche Evidenz“ kommt recht dünn daher. Trotz einer eigenen großen Wissenschaftsabteilung der Behörde verweist das RKI u.a. auf die ehrenamtliche Ständige Impfkommission (Stiko), die eine Auffrischungsimpfung „ab drei Monaten nach der Infektion“ empfiehlt. Ein erster Verdacht: Wird der Status der Genesung verkürzt, um Nicht-Geimpfte schneller wieder unter Druck setzen zu können?

Da die Omikron-Variante in Europa noch nicht allzu lange auftritt (seit Ende November 2021), sind zwischen Aufkommen der Variante und dem eben erwähnten wissenschaftlichen Befund der Stiko vom 21. Dezember ungefähr lediglich drei Wochen vergangen. Dabei weist die Ständige Impfkommission zwar auf erste Untersuchungen aus Großbritannien hin, sie muss aber gleichzeitig eingestehen, dass die Empfehlung „auf Basis einer derzeit begrenzten Datenlage getroffen wurde“.

Es schließt sich die Frage an, wobei es sich bei den britischen Untersuchungen handelt. Dort wird auf der einen Seite – Stand 10. Dezember 2021 – von einem „etwa drei- bis achtfach erhöhte[n] Risiko einer Reinfektion mit der Omikron-Variante“ gesprochen, auf der anderen Seite allerdings deutlich gemacht, dass dies vorläufige Schätzungen auf der Basis von 361 Omikron-Fällen in Großbritannien seien. Inzwischen ist zur Begründung der Senkung der Dauer des Genesenenstatus auf der Seite des RKI ein weiterer Bericht der UK Health Security Agency verlinkt, der zwar einen weiteren Anhaltspunkt zu der These der zusätzlichen Reinfektionen bei Omikron liefert, jedoch auch Unsicherheiten mit sich bringt.

Breiter wissenschaftlicher Konsens, der eine solch einschneidende Maßnahme rechtfertigen würde, sieht deutlich anders aus. Besonders schikanös wirkt dabei die Tatsache, dass von den nun geltenden 90 Tagen noch 28 Tage abgezogen werden müssen, sodass Genesene künftig ihren Status nach etwa zwei Monaten wieder verlieren werden. Denn: Laut RKI muss für den Erhalt des Nachweises „das Datum der Abnahme des positiven Tests mindestens 28 Tage zurückliegen“.

Studien zu Delta zeigen völlig anderes Bild

Hinzu kommt, dass der wissenschaftliche Stand zu Genesenen bei der zuvor vorherrschenden Variante Delta ein ganz anderes Bild zeigt. Während in einer Studie der Universität Lübeck aus dem Sommer 2021 von einer Immunität von „mindestens zehn Monate[n]“ gesprochen wurde, gingen andere sogar von bis zu 15 Monaten aus. Dementsprechend hält der Genesenennachweis in der Schweiz ganze 12 Monate, ebenso in den Niederlanden.

Dass es in Deutschland im Gegensatz dazu sogar zu einer Verkürzung der Dauer gekommen ist, kann auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck nicht nachvollziehen. „Wir müssen wirklich aufpassen, dass die Entscheidungen auf fundiertem Wissen basieren und nicht willkürlich getroffen werden“, so der 44-Jährige. Er sehe des Weiteren kaum Gründe, warum Genesene, die über eine breite Immunantwort verfügen, anders als Geimpfte behandelt werden sollten.

Rechtliche Lage: „Das werden sich die Gerichte anschauen müssen.“

Problematisch erscheint darüber hinaus die rechtliche Lage. Zentrale, die Grundrechte betreffende Fragestellungen werden in diesem Punkt nicht mehr vom Parlament bewertet, sondern von zwei Bundesoberbehörden, die über Einträge auf einer Internetseite rasch über den Status von Millionen Menschen entscheiden können. Der Verfassungsrechtler Niko Härting meinte dazu: „Das werden sich die Gerichte anschauen müssen.“

Nach Betrachtung all dieser Erkenntnisse wiegt die eingangs aufgestellte Behauptung umso schwerer: Es ist davon auszugehen, dass es sich bei der Verkürzung des Genesenenstatus um eine weitere Schikane handelt, um die Nicht-Geimpften zur Impfung zu treiben.

Weidel/Chrupalla: Verkürzung des Genesenenstatus sofort zurückziehen

In einer Pressemitteilung haben Alice Weidel und Tino Chrupalla, Fraktionschefs der AfD im Bundestag, die Bundesregierung nun aufgefordert, die Verkürzung des Genesenenstatus umgehend wieder zurückzunehmen. In einer Nacht- und Nebelaktion hatte das Robert-Koch-Institut beschlossen, dass der sog. Genesenenstaus nach einer Corona-Erkrankung nur noch 90 Tage gilt. Bislang war das sechs Monate der Fall. Alice Weidel forderte nun eine Aufarbeitung dieses Vorgehens.

„Es darf nicht sein, dass eine so weitreichende Entscheidung, die für viele Betroffene unmittelbare Auswirkungen an ihrem Arbeitsplatz oder beim Einkaufen hat, ohne Ankündigung und ohne Übergangsfrist von einer untergeordneten Behörde getroffen wird.“

Vielmehr müssten Entscheidungen dieser Tragweite im Parlament getroffen werden: „Ansonsten läuft die Politik Gefahr, bei den Bürgern weiteres Vertrauen zu verspielen.“ Ihr Fraktionskollege Tino Chrupalla forderte zudem, dass Bundeskanzler Olaf Scholz seinen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach „zurückpfeife“ und die Arbeit der AfD im Bundestag nicht weiter erschwere:

Die Überrumpelungs-Taktik, mit der die Gültigkeitsdauer des Genesenenstatus bei COVID-19 verkürzt wurde, ist eines demokratischen Rechtsstaats unwürdig und bloße Willkür, um die politische Arbeit der einzig echten Opposition im Deutschen Bundestag zu blockieren.“

Die Fraktionsspitze forderte zusammen, die umstrittene Verkürzung des Genesenenstatus umgehend zurückzunehmen. Zudem werde Chrupalla juristisch gegen die Entscheidung des RKI vorgehen.

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